Identitätskrisen

Durch den äußerst interessanten Beitrag von Grobi inspiriert, berichte auch ich nun noch etwas über meine Jahre als intersexuelle Jugendliche.

Schon mein ganzes Leben lang ahnte ich, dass ich irgendwie nicht ganz so war wie die anderen Kinder. Etwas passte einfach nicht. Als ich dann eines Tages diesen Brief in der Hand hielt in dem stand, dass ich nie Kinder haben könne und meine Hoden entfernt worden waren wurde mir bewusst was ich war: Ein Zwitter. Doch wirklich realisieren konnte ich das mit 14 Jahren noch nicht.
Schlimmer als das Z- Wort war für mich das H-Wort. Die Tatsache, dass sich bei meiner Geburt in meinen Leisten Hoden befanden war niederschmetternder als die Tatsache, dass ich ein Zwitter bin. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich mir gar nicht sicher war ob ich ein Zwitter war. Ständig stelle ich mir diese Frage, doch niemand konnte sie mir beantworten, hatte ich mich doch schon längst von der Realität und der Umwelt verabschiedet.

Mich interessierten die Anderen nicht. Wenn die Mädchen über ihre Mensturation sprachen, zuckte ich mit der Schulter und suchte das Weite. Wenn mich jemand nach einem Tampon (schreibt man das überhaupt so?) frage, sagte ich , dass ich so was nicht führe. Ich log nicht, denn lügen wurde mir leider nicht in die Wiege gelegt. Bei jedem Versuch zu lügen scheiterte ich kläglich, denn schon auf 100 Meter Entfernung war ersichtlich, dass ich versuchte irgendwelche Märchen zu erfinden. Deshalb ließ ich es und zuckte entweder mit den Schultern oder suchte das Weite.
Die anderen wunderten sich natürlich und so rankten sich auch schon bald irgendwelche Mythen und Märchen um mich. Im Nachhinein muss ich sagen, dass mir diese Mythenbildung nicht ungelegen kam. So erhielt ich wenigstens die Aufmerksamkeit nach der ich so verbittert schrie.

Ich versuchte zu Verdrängen und die ganze Geschichte tief in mir zu begraben, doch es brodelte. Ich suchte ein Ventil und fand es im Alkohol. Besäufnisse bis zum Anschlag und dann brach alles heraus. Ich schrie, weinte, schlug um micht und versuchte mich halbherzig Umzubringen. Freunden, denen ich von meiner Besonderheit erzählt hatte, konnten das Ausmaß der ganzen Geschichte nicht erfassen. Für sie war es das schlimmste, dass ich keine Kinder bekommen kann und keine Menstruation habe. Typisch Frau eben.

Ich selbst wusste nicht was mit mir los war. Heute weiß ich, dass es das Z-Wort und vor allem das H-Wort und nicht zu vergessen das K-Wort waren, die mir ganz schön zu schaffen machten. Ich wusste doch nicht einmal was ich war und was ich sein wollte. Ich wusste gar nichts, nur dass ich eben nicht normal war, ein Monster war, dass die Nazis sicher vergast und verbrannt hätten. Unewertes Leben eben.

Hoden! Was für ein Begriff für eine Pupertierende, die sich nichts sehnlicher wünschte als so zu sein wie die anderen Mädchen in ihrem Alter.

Hoden! Wenn ich sie heute noch hätte, würde es mir wahrscheinlich um einiges besser gehen, aber das war jetzt im Konjunktiv und wenn-dann-würde Konsturktionen sind überfüssig.

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